Stellungnahme von respect zur geplanten Clearingstelle für nicht krankenversicherte Menschen
1 Dez
Für einen gleichberechtigen Zugang zu Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere in Berlin
Erklärung der respect-Initiative Berlin
Seit fast 20 Jahren kämpfen wir in der respect-Inititative Berlin für die Rechte und für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen ohne Aufenthaltsstatus. In verschiedenen Bündnissen und politischen Kampagnen haben wir uns immer wieder für das Recht auf einen gleichberechtigten Zugang zu Gesundheitsversorgung für illegalisierte Menschen eingesetzt. Dass in der Berliner Senatspolitik jetzt etwas in Bewegung gekommen ist und es das Projekt gibt, einen Zugang zu Gesundheitsversorgung für Nichtversicherte in Berlin zu etablieren, sehen wir als Erfolg dieser Kämpfe an. Ohne all die Bündnisse und Kampagnen der Vergangenheit und ohne die alltägliche gegenseitige Solidarität und Unterstützung – mit der Arbeit des „Medibüros“ im Zentrum des Geschehens – wäre diese Öffnung in der Senatspolitik nicht zustande gekommen.
Seit 2015 sind wir als respect-Initiative Teil des Netzwerks Solidarity City Berlin und engagieren uns auch hier für einen Zugang zu Gesundheitsversorgung für illegalisierte Menschen in Berlin. In Solidarity City Berlin diskutierten wir gemeinsam unsere Forderungen und brachten uns in die Koalitionsverhandlungen der aktuellen Berliner Regierung ein. Wir forderten erstens eine anonymisierte Gesundheitskarte für undokumentierte Berliner_innen als Gleichstellung mit den Asylbewerber_innen, die in Berlin seit kurzem eine Gesundheitskarte erhalten, und zweitens die Abschaffung der Beschränkungen der Gesundheitsversorgung im Asylbewerberleistungsgesetz.
Erst kürzlich haben wir erfahren, wie sich die Konzeptdiskussion für eine Clearingstelle inzwischen ohne die Beteiligung von Solidarity City Berlin innerhalb des Senats weiterentwickelt hat – und wir sind entsetzt darüber, welche Prozedere dort diskutiert werden.
Wir fordern deswegen, dass folgende Mindeststandards berücksichtigt werden, um die Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Aufenthaltsstatus in Berlin zu garantieren:
- Viele Menschen ohne Aufenthaltsstatus in Berlin leben unter extrem prekären gesundheitsbelastenden Bedingungen: wegen der harten Arbeit in den Haushalten, den Familien, den WGs, Büros und Restaurants dieser Stadt, wo wir bzw. sie[1]putzen, Kinder betreuen oder kochen; wegen der permanenten Angst vor Polizeikontrollen und Abschiebung; wegen des mangelnden Zugangs zu vielen grundlegenden sozialen Rechten. Wir/sie sprechen viele unterschiedliche Sprachen und haben vielfältige Bedürfnisse der medizinischen Versorgung. Aus all diesen Gründen brauchen wir/sie dringend das Recht, Ärzt_innen und Krankenhäuser frei wählen zu können, wie es anderen Menschen in der gesetzlichen Krankenversicherung erlaubt ist. Nur so kann es möglich gemacht werden, dass wir uns/sie sich angemessen verständlich machen können, angemessen beraten werden und dass wir/sie eine medizinische Behandlung ohne Rassismus und Diskriminierung erhalten.
- Wir möchten keine Medizin zweiter Klasse und protestieren dagegen, dass die Dienstleistungen von den Krankenhäusern und Ärzt_innen für illegalisierte Menschen anscheinend schlechter bezahlt werden sollen als in der gesetzlichen Krankenversicherung. Erstens erscheint uns absurd, dass in der Clearingstelle bereits eine Kostenkalkulation für die medizinische Behandlung gemacht werden soll, bevor bei den Ärzt_innen, die die Patient_innen anschließend besuchen, oder in den Krankenhäusern überhaupt erst genauere Diagnosen gemacht und über Behandlungen entschieden werden kann. Zweitens finden wir es sehr problematisch, dass nur ein „einfacher Satz“ bezahlt werden soll, während für gesetzlich Krankenversicherte mehr bezahlt wird. Beides kann nur dazu führen, dass Ärzt_innen und Krankenhäuser gar nicht, mit weniger Zeitaufwand oder qualitativ schlechter behandeln werden. So entsteht ein Instrument weiterer Diskriminierung bzw. eine Medizin für die Armen.
- Wir wollen eine Vorgehensweise, die die persönlichen Daten der undokumentierten Menschen so aufnimmt, wie diese selbst es entscheiden und wie es in ihrem Interesse ist. Die Patient_innen sollen selbst entscheiden können, ob sie ihre tatsächlichen Namen und weitere Daten angeben, oder ob sie ausschließlich Pseudonyme angeben. Um dies entscheiden zu können, müssen sie ausführlich darüber informiert werden, inwiefern und wie der Schutz ihrer Daten garantiert wird und welche Risiken es auch langfristig geben kann, wenn sie ihre Daten der Clearingstelle überlassen. Auf jeden Fall fordern wir maximale Bemühungen, um den Schutz dieser extrem sensiblen Daten zu garantieren.
Wir sind solidarisch mit allen Menschen in Berlin, die keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung haben!
Wir fordern, dass die genannten Kriterien in der neuen Clearingstelle umgesetzt werden, damit sich die gesundheitliche Situation der Berliner_innen ohne Papiere endlich verbessern kann!
respect-Initiative Berlin (www.respectberlin.org), Berlin, 9.10.2018
[1] Die respect-Initiative setzt sich aus Frauen mit unterschiedlichem „Status“ und aus Frauen mit und ohne Migrationsgeschichte zusammen.