Austritt aus dem AK undokumentierte Arbeit in ver.di
27 Nov
Der AK Undokumentierte Arbeit in ver.di Berlin existiert bereits seit fast 5 Jahren. Als Initiatorinnen des AK sehen wir uns in der Verantwortung, Bilanz zu ziehen bezüglich der bisherigen Aktivitäten des AK, über Fehler zu reflektieren und dann die notwendigen Entscheidungen zu treffen.
Ausgangsbedingungen: Schwierigkeiten bei der Organisierung undokumentierter ArbeiterInnen in ver.di (und den DGB-Gewerkschaften allgemein)
- Insgesamt sind verhältnismäßig wenige MigrantInnen bei ver.di und den meisten DGB-Gewerkschaften organisiert und sichtbar. Die deutschen Gewerkschaften hatten schon immer Probleme, prekär Beschäftigte und Beschäftigte von Kleinbetrieben, wozu viele MigrantInnen gehören, zu organisieren. Hinzu kommt, dass die deutschen Gewerkschaften als Organisation sehr monokulturell und weiß sind. Obwohl Gewerkschaften Bildungsangebote gegen Rassismus und Rechtsextremismus machen, haben sie sich bisher zu wenig dem bekannten Problem rassistischer und rechtsextremistischer Einstellungen bei den eigenen Mitgliedern gestellt.
- Die deutschen Gewerkschaften haben wenig Interesse daran, undokumentierte ArbeiterInnen, HaushaltsarbeiterInnen, etc. zu organisieren. Warum? Erstens zahlen diese oft extrem prekär beschäftigten ArbeiterInnen niedrige Beiträge und brauchen individuelle Beratung und Betreuung, da sie in Kleinbetrieben ohne Betriebsrat arbeiten. Da die Gewerkschaften intern betriebswirtschaftlich rechnen, lohnt sich dieses „Geschäft“ für sie nicht. Zweitens müssen Gewerkschaften, wenn sie undokumentiert und in Kleinbetrieben beschäftigte ArbeiterInnen organisieren wollen, eng mit NGOs, MigrantInnenselbstorganisationen etc. zusammenarbeiten. Dies wird von den deutschen Gewerkschaften in der Regel abgelehnt, da sie befürchten, dadurch Kontrolle zu verlieren. Der AK Undokumentierte Arbeit war als Bündnis aus verschiedenen Gruppen und ver.di-Mitgliedern der Versuch einer solchen Zusammenarbeit, war aber nicht genug in die ver.di-Strukturen integriert, um breitere Wirkung zu entfalten.
Die Schaffung einer Sonderstruktur in Form des AK Undokumentierte Arbeit war ein Versuch, die oben beschriebenen Probleme zu umgehen, er konnte aber wenig zur Lösung der Probleme beitragen und hat sie teilweise auch reproduziert.
Was waren die Ziele des AK?
- Dass die Gewerkschaft undokumentierten ArbeiterInnen die Mitgliedschaft ermöglicht. Das bedeutet, dass die Gewerkschaft die tatsächliche Situation undokumentierter ArbeiterInnen berücksichtigen und die notwendigen Schritte machen sollte (Barzahlung erleichtern und Postadresse zur Verfügung stellen).
- Die Gewerkschaft sollte die juristische Verteidigung der Arbeitsrechte der ArbeiterInnen übernehmen.
- Einen Ort und die Bedingungen zu schaffen damit die undokumentierten ArbeiterInnen sich organisieren können.
- Unser Ziel war nicht eine parallele Infrastruktur zu schaffen, sondern wir wollten in die normale Gewerkschaftsstruktur einwirken. Ver.di sollte sich mit dem Thema undokumentierte Arbeit auf allen Ebenen beschäftigen. Wir waren bereit all unser Wissen zur Verfügung zu stellen und Bildungsangebote für ver.di-Mitglieder und -funktionärInnen anzubieten.
Wer ist der AK?
- Eine sehr heterogene Gruppe: Bündnis verschiedener Gruppen und Einzelpersonen.
- Es gibt keine klaren Kriterien um mitzumachen. Es wird nicht gefragt welche Interessen jedeR damit verfolgt. (Problematisch wenn eine Forschungsarbeit in dem Bereich damit verknüpft wird.)
Aktuelle Situation
- Es gibt keineN einzigeN undokumentierteN ArbeiterIn der/die im AK mitmacht.
- Wir haben mit dem AK Undokumentierte Arbeit eine Sonderstruktur geschaffen, die noch ausgrenzender ist als die klassischen ver.di-Strukturen (Fachgruppen u. ä.). Unsere Strukturen sind theoretisch offen und basisdemokratisch, faktisch aber intransparent, von einer akademischen und mittelschichtsorientierten Diskussionskultur und von internen Machthierarchien zwischen „Alten“ und „Neuen“, NichtmigrantInnen und MigrantInnen geprägt.
- Selbstkritik: der AK war von Anfang an ein Projekt von Aktivistinnen aus Respect, wo die Mehrheit deutsch ist, mit ihren eigenen Dynamiken und Art Politik zu machen. Es war nicht ein Projekt der undokumentierten ArbeiterInnen. Diese waren einbezogen und haben sich begeistern lassen aber es war nicht ihr eigenes Projekt.
- Zudem sind rein auf Ehrenamt basierende Strukturen auch strukturell ausgrenzend. Z. B. die Beratung wäre (wenn mehr Leute kämen) fast eine Vollzeitaufgabe, die von Leuten die ihren Lebensunterhalt durch Lohnarbeit erwirtschaften müssen nicht zu leisten ist.
- Die Gewerkschaftsstruktur erlaubt dem AK nicht, unabhängig und effektiv zu arbeiten mit der Folge, dass der AK gegenüber den undokumentierten ArbeiterInnen schrittweise seine Legitimität verloren hat und diese auch den Glauben, dass die Gewerkschaft für sie zu etwas nützlich sein kann.
- Mitglied zu werden ist sehr kompliziert. Die Barzahlung und das Lagern der Post bei ver.di bedürfen immer einer Vermittlung durch uns und funktionieren trotzdem nicht. Bsp.: ein Arbeiter war ein Jahr lang Mitglied und hat seine Karte nie bekommen, er ist ausgetreten; eine andere hat vor eineinhalb Jahren 50 Euro im Voraus bezahlt und nie eine Karte bekommen.
- Aufgrund der bürokratischen Struktur von ver.di können die undokumentierten ArbeiterInnen nicht autonom agieren. Immer muss jemand dabei zu sein um das Minimum zu machen (Beitritt, Zahlung der Mitgliedsbeiträge, Beratung).
- Die Themen Arbeit in Haushalt und sexuelle Belästigung sind keine Themen im AK. Diese sind zentrale Themen für Respect.
Was haben wir erreicht?
- Wir haben erreicht dass das Thema mehr in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde.
- Es gab ein paar erfolgreiche Fälle, in denen undokumentierte ArbeiterInnen nicht gezahlte Löhne, Urlaubsentgelte oder Entschädigungen für nicht eingehaltene Kündigungsfristen mit Hilfe von ver.di bekommen haben. Es hätte aber noch viel mehr erfolgreiche Fälle geben können, wenn die BeraterInnen des AK nicht teilweise wochenlang hinter ver.di-SekretärInnen hinterhertelefonieren müssten.
- Als wir angefangen haben, mit und in ver.di zu arbeiten, sahen viele KollegInnen und FunktionärInnen undokumentierte ArbeiterInnen in erster Linie als KonkurrentInnen, die „schwarz“ arbeiten und die Löhne drücken. Wir haben viel Überzeugungsarbeit geleistet und argumentiert, dass undokumentierte ArbeiterInnen die gleichen Interessen haben wie andere ArbeiterInnen und dass niemand freiwillig zu schlechten Bedingungen arbeitet und für Löhne, von denen man kaum leben kann. Jetzt beobachten wir die Tendenz, dass undokumentierte ArbeiterInnen nicht mehr als KonkurrentInnen, sondern als Opfer bzw. Objekte humanitärer Hilfe gesehen werden – auch verstärkt durch Projekte wie das Bündnis gegen Menschenhandel, an dem der DGB sich beteiligt – aber immer noch nicht als KollegInnen.
Warum wir nicht mehr beim AK mitmachen
- Wir können nicht mehr die politische Verantwortung für die Versagen des AK bzw ver.dis gegenüber den undokumentierten ArbeiterInnen, die wir überzeugt haben, bei ver.di einzutreten oder im AK mitzumachen, übernehmen.
- Wir sehen kaum Möglichkeiten die bestehende Dynamik im AK zu ändern.
- Der AK hat keinen Sinn ohne undokumentierte ArbeiterInnen.
- Es ist problematisch wenn ver.di sich (weltweit!) mit dem Thema schmückt und sogar das Minimum – in diesem Fall die Mitgliederschaft – nicht lösen kann.